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Ein Artikel der „WirtschaftsWoche“ von Ende April 2006 berichtet über die neue Zwangsumlage für Unternehmen (U1), die das seit Anfang 2006 in Kraft getretene „Gesetz über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung“ vorsieht. (Quelle: C. Ramthun; D. Delhaes: Neue Bürde. In: WirtschaftsWoche Nr. 18, 29.04.2006, Seite 36).
Die Abgabe in Höhe von bis zu 3,5 % des Bruttolohnes der Mitarbeiter soll verhindern, dass „kleinere Unternehmen durch die Entgeltfortzahlung von kranken Mitarbeitern in eine existenzbedrohende Krise geraten.“ (s. zitierter Artikel, S. 36).
Werden Mitarbeiter krank, erhält das Unternehmen während der ersten sechs Wochen die gesetzlich vorgeschrieben Entgeltfortzahlung erstattet (zwischen 50 und 80%).
Die Wirtschaftswoche sieht darin nicht nur eine Erhöhung der Bürokratie und eine weitere Steigerung der Lohnnebenkosten (was ja die große Koalition gerade verhindern wollte und sollte, und was ich auch bedenklich finde), sondern befürchtet dadurch einen „Anreiz für Unternehmen mit schlechtem Betriebsklima, sich weniger um ihre Belegschaften zu kümmern und die Mitarbeiter in auftragsschwachen Zeiten womöglich sogar zu ermuntern, mal per Krankenschein auszuspannen...“ (s. zitierter Artikel, S. 36).
Natürlich gibt es nichts, was es nicht gibt. Aber es gibt aus meiner Sicht eine Reihe von Gründen, dass Unternehmen, nicht nur aus ethischen Gründen, einem solchen „Anreiz“ nicht erliegen. Zum Beispiel:
schlechtes Betriebsklima wirkt sich nicht nur auf den Krankenstand und die damit verbundenen Kosten aus. Eine negative Arbeitsatmosphäre hat nachweisbare Produktivitätsminderungen zur Folge, es gibt mehr Konflikt, also mehr Reibungsverluste, die Mitarbeiter sind weniger engagiert und motiviert. Nicht zuletzt entsteht auch Mobbing eher in einer Umgebung des allgemeinen Stresses, der Frustration, des Konflikts und des Misstrauens – und das kann dann richtig teuer werden (s. auch C. Lünborg und H.-J. Morgenthaler: 100 Fragen – 100 Antworten zu Mobbingberatung und Mobbingprävention, www.cl-system, Menupunkt „Lernmaterialien“).
In den meisten Unternehmen ist die Personaldecke heute so dünn, dass die Mitarbeiterkapazität schon bei normaler Auftragslage „am Anschlag“ ist. Eine kurzfristig auftragsschwache Zeit setzt somit keineswegs Kapazitäten frei, die man mal eben zu einer „Entspannung per Krankenschein“ ermuntern könnte. Außerdem: Welches Argument hätte ich als Unternehmen, wenn wieder auftragsstarke Zeiten kommen, die Mitarbeiter auch dann von einer solchen „Entspannung“ abzuhalten? Ein Arbeitgeber, der solche „anreize“ in der beschriebenen Form nutzen würde, macht sich also nicht nur erpressbar, sondern auch hilflos.
Die meisten Unternehmen, die ich aus meiner Beratungsarbeit kenne, machen sich aus den genannten und weitergehenden Gründen recht viele Gedanken um die physische und psychische Gesundheit ihrer Mitarbeiter. Es gibt z.B. Programme zum Gesundheitsmanagement, in denen Vertreter der Geschäftsleitung, Betriebsräte, Führungskräfte, Mitarbeiter und Vertreter der Krankenkassen zusammenarbeiten. Es werden Gesundheitszirkel veranstaltet, in denen – ähnlich den KVP-Gruppen – die organisatorischen, technischen und sozialen Arbeitsbedingungen unter Mitwirkung der Betroffenen selbst verbessert werden. Führungskräfte erhalten Schulungen im Führen von sog. „Krankenrückkehrgesprächen“ (s. auch www.cl-system.de, Menupunkt „News“, Eintrag vom 16.05.06).
Mein Fazit: Ein Unternehmen, das dem globalen Wettbewerb auf Dauer standhalten kann, kann es sich wohl kaum den Versuch leisten, über einen erhöhten Krankenstand seiner Mitarbeiter seine Finanzlage zu verbessern. Erfolgreiche Unternehmen wissen, dass ihre Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit zu einem wesentlichen Anteil von Engagement und Motivation ihrer Mitarbeiter abhängig sind – und sie tun etwas dafür.
Dr. Carola Lünborg
communication and learning system
www.cl-system.de
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